Effectuation – das soll der neue große Wurf im Denken von Unternehmern sein. Flexibel, pragmatisch, mutig. Klingt erstmal nicht verkehrt. Aber tut’s auch wirklich, was es verspricht?
In diesem Beitrag geht’s nicht ums Schönreden, sondern ums (selbst-)kritische Hinschauen. Was steckt wirklich hinter dem Konzept? Was sagt die Forschung, was zeigt die Praxis – und was ist einfach „nur“ gesunder Menschenverstand in hübscher Verpackung? Eine kleine Reise zwischen Aha, Juhu und Ach so.
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Inhalt
Einstieg: Zwischen Küchenpsychologie und Management-Trend
Effectuation ist so ein Wort, bei dem man erst mal denkt: „Klingt wichtig, was genau soll das sein?“ Wer sich einliest, merkt schnell: Das ist explizit kein neues Betriebssystem für Unternehmen, sondern eher ein etwas aufpoliertes Verständnis davon, wie Menschen unter Unsicherheit pragmatische Entscheidungen treffen – zumindest manche Menschen.
Entstanden ist das Ganze im Rahmen der Entrepreneurship-Forschung, genauer gesagt aus einer Dissertation von Saras Sarasvathy im Jahr 2001. Sie hat Unternehmer befragt, wie sie neue Geschäftsmodelle entwickeln – und dabei festgestellt: Die machen gar nicht so viel Business-Planerei, wie man das aus dem BWL-Lehrbuch kennt. Stattdessen: Ausprobieren, was man mit dem hat, was man hat. Und siehe da: Der Begriff Effectuation war geboren.
Seitdem gewinnt die Idee, gerade in der Gründerszene, immer mehr Freunde. Man könnte sagen: Die einen sehen darin ein besseres Navigationssystem für unsichere Zeiten. Die anderen sagen: „Naja, ist das nicht einfach gesunder Menschenverstand?“
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Hier wollen wir der Sache mal kritisch auf den Grund gehen. Also weder Lobeshymnen, noch Blaming, sondern ein ehrlicher Blick:
- Was sagt die Wissenschaft wirklich dazu?
- Wo wird’s dünn, wenn man genauer hinschaut? Wo sind die Schwachstellen in der Theorie?
- Und warum klappt das in der Praxis mal gut – und mal gar nicht?
Was ist eigentlich das Problem? Ein schneller Blick auf die Forschung
Effectuation? Ja, das Ding hat was.
Seit Sarasvathy 2001 ihren Klassiker veröffentlicht hat, ist ein ganzer Haufen an Texten, Büchern und Praxisbeispielen entstanden. Gib den Begriff bei Google ein – und schon stolperst du über eine kleine aber ansteigende Anzahl an Innovations-Gurus, Professoren und Gründer, die das Konzept wie eine heilige Schrift verehren.
Aber mal ehrlich: Braucht ein Unternehmer mit gesundem Menschenverstand wirklich noch einen akademischen Rahmen, um zu kapieren, dass man mit dem arbeitet, was da ist? Wahrscheinlich nicht. Und genau da liegt der Vorteil. Denn ein paar gute Ideen stecken da schon drin und werden explizit gemacht und beschrieben.
Aber wie das so ist: Je lauter der Applaus, desto mehr räuspern sich auch die Skeptiker – vor allem in der Wissenschaft.
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Der Stand der Forschung aus meiner Sicht? Sagen wir mal: durchwachsen.
- Es gibt jede Menge theoretisches Zeug, das Effectuation beschreibt, mit anderem vergleicht oder nochmal neu interpretiert.
- Solide, zahlenbasierte vergleichende Studien, die zeigen, dass es wirklich besser läuft mit Effectuation? Leider eher selten, da schwierig umzusetzen.
- Die meisten Untersuchungen beruhen auf Fallstudien oder Befragungen, oft aus Gründungskursen oder Start-up-Szenen.
👉 Kurzer Einschub: Wo kommt das überhaupt her?
Saras Sarasvathy veröffentlichte 2001 ihren Aufsatz „Causation and Effectuation“ im Academy of Management Review [Sarasvathy 2001]. Darin beschreibt sie fünf Prinzipien für kluges Handeln unter Unsicherheit – etwa das bekannte „Bird-in-Hand“-Prinzip: Nimm, was du hast, und mach was draus.
Klingt erstmal ganz praktisch. Ist es auch! Aber: Zwischen einer pfiffigen Idee und einer sauber belegten Theorie klafft manchmal ein ziemliches Loch.
In der Praxis kommt Effectuation gut an – vor allem, weil es verspricht, Entscheidungen einfacher zu machen, gerade wenn eh keiner so genau weiß, wie’s weitergeht. Klingt verlockend. Nur: Funktioniert das wirklich?
Es sorgt eindeutig dafür, die Handlungsfähligkeit zu erhöhen. Darüber hinaus wird’s knifflig. Denn die meisten Studien drehen sich um erfolgreiche Gründer, Start-ups oder Innovationsprojekte mit viel Freiheit und wenig Ballast. Die spannende Frage, ob das Ganze auch im normalen Unternehmensalltag taugt – mit Hierarchien, Budgetrunden und Projektplänen – bleibt teilweise offen. Zudem besteht hier das offensichtliche Risiko, anderes Einflussfaktoren aufgrund des Survivor-Bias zu übersehen.
Ein Beispiel: In einer Meta-Analyse von Arend, Sarooghi und Burkemper [Arend 2015] heißt es sinngemäß: „Tolle Idee, aber noch viel zu wenig harte Daten.“
Auch Sarasvathy selbst betont regelmäßig, dass Effectuation eher als Denkmodell zu verstehen ist – nicht als absolutes Rezept.
Kurz gesagt:
Effectuation ist eine Idee mit viel Charme, aber noch ohne endgültiges wissenschaftliches TÜV-Siegel.
Einschub: Mehr zur Einführung in Effectuation hatte ich schon unter Was ist Effectuation?, Effectuation vs. Kausalität und Die 5 Prinzipien von Effectuation besprochen.
Im nächsten Abschnitt geht’s genau darum: Was sagen eigentlich die Kritiker? Und woran hapert’s konkret mit der Beweislage?
Kritikpunkt #1: Klingt gut – aber wo sind die Beweise?
Eine der häufigsten Kritiken an Effectuation ist: „Das klingt ja alles schön pragmatisch, aber wie solide ist das wissenschaftlich belegt?“
Tatsächlich:
- Viele Studien, die sich mit Effectuation befassen, arbeiten mit kleinen Stichproben – zum Beispiel Gründerinterviews oder Beobachtungen in Start-ups.
- Langzeitstudien? Fehlanzeige. Die Belege, dass Effectuation langfristig erfolgreicher ist als die klassische Planungslogik werden vorrangig durch anekdotische Evidenz untermauert.
- Der Großteil der Forschung ist qualitativ-explorativ – also eher beschreibend und weniger überprüfend.
Kurz gesagt: Es gibt noch nicht wirklich viel handfeste wissenschaftliche Beweise.
Zitat gefällig?
Arend et al. [Arend 2015] sagen ziemlich kritisch, dass Effectuation eine „unterbestimmte Theorie mit unklaren Erfolgszusammenhängen“ ist. Übersetzt heißt das: Es ist noch unklar, wie sich die Anwendung von Effectuation konkret auf den unternehmerischen Erfolg auswirkt.
Oder kurz: Es funktioniert, aber man weiß noch nicht genau warum.
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✅ Gegenargument: Nicht jede nützliche Denkweise braucht ein Laborprotokoll
Natürlich wäre es praktischer, Effectuation wie ein Medikament zu testen: 100 Gründer, die nach dieser Methode arbeiten, 100 ohne – und dann schauen, wer am Ende mehr verdient.
Aber so einfach ist das Unternehmertum nun mal nicht.
Effectuation ist keine Schritt-für-Schritt-Methode, sondern eher eine Denkweise – ähnlich wie agiles Arbeiten oder das berühmte „unternehmerische Bauchgefühl“. Und solche Dinge lassen sich eben nicht leicht mit klassischen Messverfahren erfassen.
Außerdem: In vielen qualitativen Studien berichten Unternehmer sehr konkret davon, wie ihnen das Denken in Effectuation-Prinzipien hilft – zum Beispiel, schneller ins Handeln zu kommen oder Chancen im Alltag besser zu erkennen.
Fazit: Die Beweislage ist dünn – aber es gibt eine Menge plausibler Hinweise aus der Praxis, dass Effectuation in der realen Welt funktioniert. Nur eben nicht in jeder.
Kritikpunkt #2: Ist das jetzt Wissenschaft – oder Küchenpsychologie?
Ein weiterer Kritikpunkt: Effectuation klingt verdammt vernünftig – aber ist das wirklich neu?
Viele Prinzipien klingen wie altbekannte Weisheiten:
- „Starte mit dem, was du hast.“ – Klar, das sagen Handwerksmeister schon seit hunderten Jahren.
- „Kooperiere statt zu konkurrieren.“ – Auch keine bahnbrechende Erkenntnis, aber leider zu oft ignoriert.
- „Nutze Zufälle.“ – Wer findet das nicht auch richtig, wenn er nicht völlig von der Rolle ist? Aber wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Kritiker werfen Effectuation deshalb vor, alte Kamellen unter neuen Begriffen zu verkaufen und dabei zu tun, als wäre das Unternehmertum gerade erfunden worden.
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✅ Gegenargument: Gute Ideen dürfen auch einfach klingen
Ja, viele der Effectuation-Prinzipien sind nicht gerade bahnbrechend. Wir kennen sie mindestens seit den antiken Kunsthandwerkern. Aber: Sie haben auch da schon funktioniert und die wahre Stärke liegt in der Systematik.
Effectuation zeigt auf, was viele Unternehmer ohnehin schon intuitiv tun – aber oft keine Worte dafür finden.
Ein Beispiel: Wer seine Strategie nicht in allen Details durchplant, nicht versucht alle Zufälle auszuschließen, sondern erstmal ausprobiert, ob etwas überhaupt funktioniert, wird im klassischen Management schnell als planlos abgestempelt.
Effectuation liefert dafür eine logische Erklärung, die nicht nach „Bauchgefühl“ klingt, sondern nach: „Ich arbeite mit dem, was ich kontrollieren kann.“
Und mal ehrlich: Nur weil etwas nach gesundem Menschenverstand klingt, ist es nicht gleich banal.
Fazit: Effectuation ist keine neue Erfindung – aber eine sinnvolle Systematisierung von unternehmerischer Praxis, die viele schon längst leben.
Kritikpunkt #3: Die Methodenfrage – Wie misst man das eigentlich?
Effectuation ist schön beschrieben, aber schwer zu greifen.
- Wie erkennt man im Alltag, ob jemand „effectual“ handelt?
- Wie misst man das in Fragebögen oder Experimenten?
Tatsächlich ist genau das ein methodisches Problem in der Forschung:
Die gängigen Messinstrumente (z. B. der Effectuation Scale von [Chandler 2009]) versuchen, effectuales Denken mit standardisierten Fragen zu erfassen – etwa: „Wie oft passen Sie Ihre Ziele unterwegs an?“
Aber: Wer situativ entscheidet, tut das selten so bewusst, dass man es in einem Multiple-Choice-Test zuverlässig abbilden könnte.
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✅ Gegenargument: Schwierige Messbarkeit heißt nicht fehlender Wert
Ja, es stimmt: Effectuation ist schwer messbar. Aber das gilt auch für viele andere Konzepte, die trotzdem nützlich sind – wie Kreativität, Vertrauen oder Unternehmergeist. Deshalb ist Effectuation auch eine Denkweise und keine Methode.
Nur weil etwas schwer messbar ist, heißt das nicht, dass es wertlos ist.
Besonders in dynamischen, unvorhersehbaren Umfeldern sind weiche Faktoren entscheidend – und genau da hilft Effectuation, Orientierung zu bieten.
Außerdem wird kontinuierlich daran gearbeitet, die Messinstrumente zu verbessern. Chandler et al. [Chandler 2009] haben hierfür zumindest eine erste brauchbare Basis geliefert.
Fazit: Die Messbarkeit lässt noch Luft nach oben – aber das Konzept hat auch ohne exakte Zahlen seinen festen Platz in der Unternehmenspraxis.
Und was sagt die Wissenschaft sonst noch? Zwischen Anerkennung und Augenbrauenheben
Effectuation hat in der Entrepreneurship-Forschung definitiv Eindruck hinterlassen – aber auch einige Stirnrunzeln ausgelöst. Seit Sarasvathys bahnbrechender Arbeit [Sarasvathy 2001] ist die Zahl der Veröffentlichungen gestiegen, und die Konzepte haben ihren Platz in einzelnen Entrepreneurship-Lehrplänen gefunden. Dennoch bleibt die Rezeption im Vergleich zu anderen Ansätzen durchwachsen.
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📚 Stimmen aus der Forschung
- Saras D. Sarasvathy [Sarasvathy 2001] + [Sarasvathy 2006] + [Sarasvathy 2008]: Die Haupterforscherin des Modells ist natürlich die lauteste Stimme – sie sieht Effectuation nicht nur als Alternative zur klassischen Entscheidungslogik, sondern als ganz andere Denkweise im Unternehmertum, vor allem in frühen Phasen und bei Unsicherheit. → „Entrepreneurs act in a world they co-create, not one they predict.”
- Arend, Searcy & Burkemper [Arend 2015]: In einem der bekannteren kritischen Papers schreiben die Autoren, dass Effectuation zwar „eine interessante Theorie“ sei, aber methodisch schwach und konzeptionell unscharf daherkomme. → “It is time to challenge the foundational assumptions of effectuation and evaluate its theoretical boundaries.”
- Perry, Chandler & Markova [Perry 2012]: Sie warnen davor, dass Effectuation als Begriff zu breit und vage ist, um wissenschaftlich wirklich besser handhabbar zu sein. → “The construct may lack discriminant validity from improvisation and experiential learning.”
- Read et al. [Read 2006] + [Read 2015]: In mehreren Überblicksarbeiten werden die bisherigen empirischen Studien zwar positiv gewürdigt, gleichzeitig aber selbstkritisch eingeräumt, dass es noch keinen einheitlichen, belastbaren Forschungsstand gebe. → „Effectuation is promising, but suffers from inconsistencies in conceptualization and measurement.”
🔍 Rezeption im Überblick
Forschungsbereich | Tendenz |
---|---|
Entrepreneurship | Wachsendes Interesse, v. a. in Lehre und Frühphasenforschung |
Strategisches Management | Zurückhaltend bis skeptisch, u. a. wegen mangelnder Anschlussfähigkeit und Konflikten mit rein kausaler Logik |
Innovationsforschung | Neugierig, v. a. bei Themen wie Open Innovation, Co-Creation |
Methodik / Empirie | Kritisch, v. a. bei Operationalisierbarkeit und Validität |
🧠 Was heißt das?
Effectuation ist in der Forschung weder völliger Außenseiter noch voll etablierter Standard. Es ist aus meiner Sicht einer der spannendsten Ansätze, der aber wohl teilweise noch geschärft, getestet und besser abgegrenzt werden muss.
Ein Mehrwert liegt derzeit wohl auch in der Debatte, die er ausgelöst hat: Wie treffen Menschen unter Unsicherheit wirklich Entscheidungen? Und was bedeutet das für Unternehmenspraxis, Ausbildung und Lehre?
Effectuation ist in der Forschung noch kein Mainstream – aber auch kein absoluter Exot mehr. Es bleibt eine Denkweise mit Potenzial.
Stimmen aus der Praxis – Begeisterung trifft Realität
Theorie schön und gut – aber wie sieht’s im echten Leben aus? Da, wo der Laden läuft, Kunden was wollen, die Mannschaft Fragen stellt und am Ende vom Monat was übrigbleiben soll?
Tatsächlich taucht Effectuation draußen öfter auf, als man denkt. Man nennt es nur nicht immer so. Und die reine Lehre? Die bleibt meistens in der Uni.
![Mobiltelefon, Schloss [Image by David from Pixabay]](https://pierresmits.de/wp-content/uploads/2025/05/mobile-phone-1875813_1280-1024x682.jpg)
🎙️ Aha-Momente: „Das machen wir doch schon längst!“
Vor allem Gründer, Bastler, Macher und Leute mit neuen Ideen erkennen sich oft sofort wieder:
- „Wir haben einfach mit dem angefangen, was da und machbar war – und dann geschaut, wo’s uns hinführt.“
- „Ein Kunde hat mal was gefragt, wir haben’s ausprobiert – heute ist’s unser Hauptgeschäft.“
Diese Mischung aus Improvisation, Zufall und begründetem Bauchgefühl hat tatsächlich Struktur – sie nennt sich halt bloß jetzt „Effectuation“. Manche Firmen bauen sich sogar Prozesse drumrum: schnelles Prototypen-Bauen, mit Kunden gemeinsam experimentieren, flexibel bleiben bei Zeit, Geld und Leuten.
Auch in Workshops kommt das gut an. Vor allem, wenn die Alternative PowerPoint-Schlachten mit 5-Jahres-Plänen sind.
„Endlich mal was, das zur Realität passt – und nicht nur zur Controlling-Vorlage.“
🙄 Ach so-Momente: „Klingt gut – aber wie soll das gehen?“
In Betrieben, die schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben, klingt das Ganze dann eher so:
- „Joa, spannend – aber ich kann hier nicht jeden Tag alles neu erfinden. Dafür hängen zu viele dran.“ → Spoiler: Niemand hat gesagt, dass man das immer und nur so machen muss.
- „Unsere Kunden erwarten Planung, nicht: mal sehen, was passiert.“
Und damit sind wir bei der unbequemen Wahrheit: Effectuation ist kein Wundermittel, das immer, dauernd und überall wirkt. Das verspricht es auch gar nicht.
In streng regulierten Branchen, bei Lieferketten mit zehn Beteiligten oder wenn die Maschinenhalle 3 Monate im Voraus durchgetaktet ist – da bringt ausschließliches „einfach mal machen“ genau: Stress.
Auch intern klappt’s nur, wenn klar ist, warum plötzlich anders entschieden wird. Sonst denken sich alle: Was rauchen die da oben?
ℹ️ Wofür taugt’s – und wofür eher nicht?
Funktioniert gut bei… | Funktioniert weniger bei… |
---|---|
Start-ups und Gründungen | Hochstandardisierten Prozessen (die nicht verändert werden dürfen) |
Innovationsprojekten | Langfristig festgelegten Großprojekten |
Krisen- oder Umbruchphasen | Stabilem, planbarem Tagesgeschäft |
Entwicklung neuer Geschäftsmodelle | Reiner Effizienzoptimierung |
Kurz gesagt: Effectuation hilft, wenn man’s mit Unsicherheit zu tun hat – oder mit richtig neuen Ideen. Aber man sollte wissen, wann’s gut ist. Und wann besser nicht.
Persönliches Fazit – Was bleibt vom Hype?
Ich mag Effectuation. Ehrlich. Nicht, weil’s gerade hip ist oder toll in Folien aussieht, sondern weil’s verdammt nah dran ist an dem, wie pragmatisches Unternehmertum in echt erfolgreich funktioniert.
Kein Mensch startet mit einem 150-seitigen Masterplan. Kein Mensch kennt die Zukunft. Und kaum jemand hat die Zeit, jede Entscheidung durch sieben Excel-Tabellen zu jagen.
Effectuation sagt im Grunde nur: Macht zusammen was draus – mit dem, was gerade da ist oder passiert.
Und das ist in vielen Fällen besser, als ewig auf den perfekten Plan zu warten und gar nicht ins Handeln zu kommen.
🙃 Was mich nervt
- Wenn Effectuation zur Religion wird: Manche tun so, als müsste man ab morgen alles kausale Denken abschaffen. Das ist Quatsch. Planen ist wichtig – man sollte nur wissen, wann / wie weit es sinnvoll ist und wann nicht.
- Wenn sich unter dem Label „Effectuation“ alles Mögliche versteckt, was einfach nur planloses Herumprobieren ist. Unreflektiertes Chaos ist keine Methode.
- Glücklicherweise kommt das selten vor: Wenn in der Diskussion so getan wird, als sei die Forschung schon fertig. Ist sie nicht. Da fehlt noch einiges – vor allem mehr harte empirische Evidenz.
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😊 Was bleibt – und was hilft
- Effectuation liefert eine Sprache für pragmatisches Handeln – vor allem in unsicheren Lagen. Und das ist für Unternehmer Gold wert, alleine weil so manches zuvor Implizite explizit gemacht werden kann.
- Es ist eine gute Ergänzung zur klassischen Planung. Kein Ersatz, aber ein hilfreiches Gegenstück.
- Für die Handlungsfähigkeit hilft es, offen für Zufälle und Kooperationen zu bleiben – ohne ständig in Analyse-Paralyse zu verfallen.
👋 Mein Rat für den Mittelstand
Wenn du ein Unternehmen führst oder mitentscheidest: Effectuation kann helfen, in stürmischen Zeiten handlungsfähig zu bleiben.
Aber bitte ohne Dogma. Nutz es als Denkweise – nicht als Religion.
Die entscheidende Frage ist nicht: „Halten wir alle fünf Prinzipien ein?“
Sondern eher: „Wo könnten wir etwas entspannter und trotzdem sinnvoll und pragmatisch entscheiden?“
In diesem Sinne: Effectuiere, wenn’s passt. Plane, was sein muss. Und mach beides mit gesundem Menschenverstand.
Was bleibt – und wie geht’s weiter?
Wie gesagt, Effectuation ist kein Zaubertrick – aber auch kein akademischer Papiertiger. Es ist einfach eine brauchbare Denkweise, erst recht, wenn die Lage unübersichtlich ist und keiner weiß, was morgen kommt. Es hilft, nicht gleich kopflos loszurennen, aber auch nicht alles totzuplanen. Und wer das einmal verstanden hat, kann besser entscheiden, wann’s sich lohnt, einfach mal loszugehen – statt auf den perfekten Moment zu warten.
Im nächsten Teil geht’s nochmal ans Eingemachte:
Wie passt Effectuation eigentlich in den Alltag etablierter Unternehmen? Da trifft spontane Idee auf Quartalsziel, „lass mal probieren“ auf ISO-Audit – und ein kreatives Netzwerk auf drei Hierarchiestufen und eine Gremiensitzung.
Oder kurz gesagt:
Effectuation trifft Organisation – und jetzt?
Freu dich auf einen ehrlichen Blick hinter die Kulissen. Und wie man da mit Effectuation arbeiten kann – ohne dass gleich alle Schnappatmung kriegen.
Weiterführende und alternative Quellen
[Agile 2001] Manifest für agile Softwareentwicklung: 2001, [online] https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html.
[Arend 2015] Arend, Richard J./Hessamoddin Sarooghi And Andrew Burkemper: EFFECTUATION AS INEFFECTUAL? APPLYING THE 3E THEORY-ASSESSMENT FRAMEWORK TO A PROPOSED NEW THEORY OF ENTREPRENEURSHIP, in: The Academy Of Management Review, Bd. 40, Nr. 4, 2015, [online] https://www.jstor.org/stable/43699312, S. 630–651.
[Brown 2016] Brown, Tim: Change by Design: Wie Design Thinking Organisationen verändert und zu mehr Innovationen führt, 01.08.2016.
[Chandler 2009] Chandler, Gaylen N./Dawn R. DeTienne/Alexander McKelvie/Troy V. Mumford: Causation and effectuation processes: A validation study, in: Journal of Business Venturing, vol. 26, no. 3, 28.11.2009, [online] doi:10.1016/j.jbusvent.2009.10.006, pp. 375–390.
[Eromero 2025] Eromero: Effectuation that respond to change: THE Crazy Quilt Principles – Yamato Manufacturing Co., Ltd., in: Yamato Manufacturing Co., Ltd., 03.03.2025, [online] https://www.yamatonoodle.com/news-topics/effectuation-that-respond-to-change-the-crazy-quilt-principles/.
[Faschingbauer 2010] Faschingbauer, Michael: Effectuation: wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, 01.01.2010.
[Holisticon 2025] Holisticon AG: Liberating Structures – Innovation durch echte Zusammenarbeit, in: Holisticon AG, o. D., [online] https://liberatingstructures.de/.
[Lipmanowicz 2025] Lipmanowicz , Keith McCandless Henri: Liberating Structures – Introduction, o. D., [online] https://liberatingstructures.com/.
[Miller 2021] Miller, Joe/Ugur Sahin/Özlem Türeci: Projekt LightSpeed: Der Weg zum BioNTech-Impfstoff – und zu einer Medizin von morgen, 06.09.2021.
[Mortensen 2021] Mortensen, Ditte Hvas: The Basic Principles of Effectuation – How to Use What You Already Have to Become More Innovative, in: The Interaction Design Foundation, 22.04.2025, [online] https://www.interaction-design.org/literature/article/the-basic-principles-of-effectuation-how-to-use-what-you-already-have-to-become-more-innovative.
[Perry 2012] Perry, John T./Gaylen N. Chandler/Gergana Markova: Entrepreneurial Effectuation: A Review and Suggestions for Future Research, in: Entrepreneurship Theory And Practice, 01.07.2012, [online] doi:10.1111/j.1540-6520.2010.00435.x.
[Read 2015] Read, S., et al/S. Sarasvathy/N. Dew/R. Wiltbank: Unreasonable Assumptions in ASB, in: Read, Sarasvathy, Dew & Wiltbank, 2015, [online] https://22657557.fs1.hubspotusercontent-na1.net/hubfs/22657557/Journal%20Articles/2018/12/AMR-ASB-Assumptions-Detailed.pdf.
[Read 2006] Read, Stuart/Michael Song/Willem Smit/Charles N. Kimball: A meta-analytic review of effectuation and venture performance, in: Journal Of Business Venturing, journal-article, 01.11.2006, [online] doi:10.1016/j.jbusvent.2008.02.005.
[Ries 2014] Ries, Eric: Lean startup: Schnell, risikolos und erfolgreich Unternehmen gründen, 10.10.2014.
[Salgame 2025] Five Principles of Effectuation Theory – ARTICLE 114 | LinkedIn: 06.02.2025, [online] https://www.linkedin.com/pulse/five-principles-effectuation-theory-article-114-shivananda-salgame-awzwc/.
[Sarasvathy 2001] Sarasvathy, Saras D.: Causation and Effectuation: Toward a Theoretical Shift from Economic Inevitability to Entrepreneurial Contingency, in: Academy Of Management Review, Bd. 26, Nr. 2, 01.04.2001, [online] doi:10.5465/amr.2001.4378020, S. 243–263.
[Sarasvathy 2006] Sarasvathy, Saras D./University of Virginia Darden School Foundation: THE AFFORDABLE LOSS PRINCIPLE, 2006, [online] https://22657557.fs1.hubspotusercontent-na1.net/hubfs/22657557/Public Documents For Site/affordable_loss_teaching_note.pdf.
[Sarasvathy 2008] Sarasvathy, Saras D.: Effectuation: Elements of Entrepreneurial Expertise, 01.01.2008.
[Steiner 2024] Steiner, Simon: 8 Effectuation-Fallbeispiele – Wie Effectuation in der Praxis funktioniert: Effectuation Beispiele, Praxisbeis, in: TOOLS FOR TOMORROW, 09.03.2024, [online] https://www.tomorrow.tools/post/effectuation-beispiele.
[Broeksema 2021] The five principles of effectuation | LinkedIn: o. D., [online] https://www.linkedin.com/pulse/five-principles-effectuation-bertjan-broeksema/.
[Effectuation.org] The Five Principles of Effectuation: o. D., [online] https://effectuation.org/the-five-principles-of-effectuation.
[Effectuation.org Detail] The Five Principles of Effectuation Detail: o. D., [online] https://effectuation.org/the-five-principles-of-effectuation-detail.
Beiträge aus der Effectuation-Mini-Serie
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