LEGO® SERIOUS PLAY® (LSP) gilt als Methode, die echte Partizipation fördern soll. In der Praxis bleibt dieses Versprechen jedoch häufig reine Symbolik – Beteiligung wird vorgetäuscht, ohne dass die Teilnehmenden wirklich mitgestalten können. In diesem Teil unserer kleinen Blogserie werfen wir einen genaueren Blick darauf, woran das liegt – und wie es dennoch gelingen kann, mit LSP echte Mitwirkung und gemeinsame Verantwortung zu ermöglichen.

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„Wir wollen alle mitnehmen.“
Wenn ich einen Euro für jedes Mal bekäme, wenn dieser Satz in einem Workshop-Briefing fällt, könnte ich den LEGO® Shop vermutlich leer kaufen. Aber Spaß beiseite: Beteiligung ist ein großes Wort. Und leider eines, das oft größer klingt, als es im Umfeld des Workshops dann gelebt wird.
Der schöne Schein der Beteiligung
Stell dir das vor: Acht Menschen sitzen mehrere Stunden zusammen. Auf dem Tisch ein bunter Haufen LEGO-Steine zur Auswahl. Auf einem anderen Tisch wird gebaut und auf ein dritter für Reflexionen und Diskussionen genutzt. Alle sind konzentriert, erzählen Geschichten, bauen Modelle, lachen. Es entstehen beeindruckende Metaphern, die Kamera klickt, alle sind begeistert. Der Raum lebt – für den Moment.
Und dann? Dann wird abgebaut. Die Teilnehmer verabschieden sich. Und die Ideen, die sie in ihren Modellen zum Ausdruck gebracht haben? Verschwinden – wie Sandburgen, die von der Flut erfasst werden. Schön anzusehen, aber am Ende nicht mehr als eine gute Geschichte für die nächste Firmenfeier. Ohne Wirkung, ohne Konsequenzen.
Genau hier sehe ich eine der größten Herausforderungen – oder besser gesagt: Eine doppelte Stolperfalle – bei der Arbeit mit LSP.
Scheinpartizipation: Wenn alle mitbauen dürfen, aber nicht wirklich mitentscheiden dürfen
Auf den ersten Blick wirkt LSP fast schon wie gelebte Demokratie: Jeder baut, jeder spricht, jede Stimme zählt – so scheint es zumindest. Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich schnell die Frage: „Was passiert eigentlich mit all dem, was da gebaut, gesagt und geteilt wurde?“
In manchen Workshops gibt es am Ende nicht mal ein Foto als Erinnerung. In anderen werden die Bilder zwar dokumentiert, landen aber in einem Bericht, den kaum jemand liest. Oder – noch besser – sie werden „an die Entscheider weitergeleitet“. Und dann? Was damit passiert, bleibt oft unklar. Keine Rückmeldung, keine Wirkung, keine verbindliche Nachverfolgung. Nicht selten: einfach gar nichts.
Genau das ist Scheinpartizipation: Es sieht nach Beteiligung aus, fühlt sich vielleicht im Moment sogar danach an – aber echte Einflussnahme bleibt aus. Die Bühne ist bunt und lebendig, aber hinter dem Vorhang ist längst alles beschlossen. Wie im Kindertheater: Das Publikum darf laut „JA!“ rufen – doch das Stück ist längst geschrieben.
Fehlende Integration: Wenn LSP zur Bühne ohne Anschluss wird
Richtig schwierig wird’s, wenn LSP losgelöst von echten Entscheidungsprozessen stattfindet. Da wird gemeinsam „Strategie“ gebaut – aber die Entscheidung darüber ist längst gefallen. Oder die Menschen, die wirklich etwas entscheiden könnten, sind gar nicht erst im Raum. Oder man entwickelt „gemeinsame Teamwerte“ – und danach macht doch wieder jeder, was er vorher auch gemacht hat. Dann war es vielleicht angenehm, mal zusammen als Team etwas zu unternehmen, aber auf den ursprünglichen Grund für den Workshop zahlt es nicht ein.
Für mich ist klar: LSP ist kein Zaubertrick. Kein Selbstläufer.
So beeindruckend die gebauten Metaphern auch sein mögen – sie bringen nichts, wenn sie keine Anbindung an die Realität haben. Wenn sie in keinem Protokoll, keiner Roadmap und erst recht keiner Entscheidung auftauchen.
Ja, das Bauen und Reflektieren kann dabei helfen, dass Themen tiefer verankert werden. Aber das ersetzt nicht die konkrete Umsetzung. Die braucht Struktur, Verbindlichkeit – und den Willen, dranzubleiben.
Oft wird LSP gebucht, weil es „nach Partizipation aussieht“. Weil man hinterher sagen kann: „Wir haben doch alle mitgenommen.“
Aber echte Beteiligung beginnt nicht beim Bauen.
Sie beginnt viel früher – bei der Frage: Worum geht es hier eigentlich? Für wen machen wir das? Und wie ernst meinen wir es mit dem, was da entsteht?
Und sie endet viel später mir der entsprechenden Umsetzung.
Reflexions-Check: Und was passiert mit deinen LEGO-Ideen?
Wenn du selbst Workshops gibst oder planst, lohnt es sich, mal einen Schritt zurückzutreten und dich – oder deine Kunden – ehrlich zu fragen:
- Welche konkreten Entscheidungen sollen auf Grundlage der Workshop-Ergebnisse getroffen werden?
- Wer trifft diese Entscheidungen eigentlich – und ist diese Person beim Workshop überhaupt dabei?
- Gibt es eine Rückmeldung an die Teilnehmer? Überlegungen für das „Danach“? Einen klaren Anschlussprozess?
Und wenn du selbst als Teilnehmer dabei bist: Frag ruhig mal nach.
Du wirst überrascht sein, wie oft das vermeintlich „offene Ohr“ plötzlich schwerhörig wird, wenn es um echte Konsequenzen geht.
Es geht auch anders – und das lohnt sich
Ich will hier nicht alles schlechtreden. Ich habe auch Workshops erlebt, bei denen aus den LEGO-Modellen lebendige Strategiediskussionen entstanden sind.
Wo Führungskräfte wirklich mitgemacht, zugehört, nachgefragt und danach ihre Pläne angepasst haben. Da war echtes Engagement spürbar – und echte Bewegung möglich.
Aber das passiert nicht „einfach so“, nur weil LEGO auf dem Tisch liegt.
Das passiert, wenn der Workshop nicht als Show, sondern als echter Startpunkt für Veränderung gedacht ist. Wenn Beteiligung nicht nur inszeniert, sondern auch nach dem Workshop weitergeführt wird.
Fazit: Beteiligung braucht mehr als bunte Steine
LSP kann ein kraftvolles Werkzeug sein – wenn klar ist, wer wirklich mitspielt, wer mitredet und was mit den Ergebnissen passiert.
Ohne diese Klarheit bleibt es eine schöne Inszenierung: Die Bühne wird zwar geteilt, aber das Drehbuch – vor allem für die Fortsetzung – ist längst geschrieben.
Im nächsten Teil dieser Serie schauen wir auf einen oft übersehenen, aber entscheidenden Akteur:
Die Rolle des Facilitators – und welche Schattenseiten damit einhergehen können.
Bis dahin: Lasst uns nicht nur Modelle bauen, sondern gemeinsam am System rütteln, damit sich wirklich etwas verändert.
Weiterführende und alternative Quellen
/01/ James, Alison: Learning in Three Dimensions: Using Lego Serious Play for Creative and Critical Reflection Across Time and Space, in: Prudence C. Layne/Peter Lake (Hrsg.), Global Innovation of Teaching and Learning in Higher Education, Springer eBook, 2015, [online] doi:10.1007/978-3-319-10482-9, S. 275–294.
/02/ Kristiansen, Per/Robert Rasmussen: Building a Better Business Using the Lego Serious Play Method, John Wiley & Sons, 21.07.2014.
/03/ LEGO®: LEGO® SERIOUS PLAY®: Open-source / Introduction to LEGO® SERIOUS PLAY®, o. D., [PDF] https://www.lego.com/cdn/cs/set/assets/blt8ec1d6ff766ddfd4/LEGO_SERIOUS_PLAY_OpenSource_14mb.pdf.
/04/ Nerantzi, Chrissi/Alison James: LEGO® for university learning: Online, offline and elsewhere, in: Zenodo (CERN European Organization for Nuclear Research), 10.12.2022, [online] doi:10.5281/zenodo.7421754.
/05/ Niedermayr, Melanie: Potenziale von ernsten Spielen für das Lernen Erwachsener: Eine Untersuchung der Methode LEGO Serious Play, Philipp Assinger (Hrsg.), , 08.2020, [online] https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/download/pdf/5734307?originalFilename=true.
/06/ Schleutker, Natascha: LEGO® Serious Play® im Projektmanagement – Wie Bausteine dabei helfen, innovative Lösungen zu finden, in: Parm AG, 22.02.2024, [online] https://parm.com/lego-serious-play-im-projektmanagement/.
/07/ Statler, Matt/Johan Roos/Bart Victor: Ain’t misbehavin’: taking play seriously in organizations, in: Journal Of Change Management, Bd. 9, Nr. 1, 01.03.2009, [online] doi:10.1080/14697010902727252, S. 87–107.
/08/ Stoehr, Anna-Elena: Was bringt LSP wirklich? Welche Vorteile und Nachteile hat LEGO® Serious Play®?, in: Anna-Elena Stoehr, 12.12.2023, [online] https://annaelenastoehr.com/welche-vorteile-und-nachreile-hat-lego-serious-play/.
/09/ t2informatik GmbH: LEGO Serious Play – t2informatik GmbH, in: T2informatik GmbH, 09.12.2024, [online] https://t2informatik.de/wissen-kompakt/lego-serious-play/.
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